Die Zukunft des Wohnens Wohnen ist eines unserer zentralen Grundbedürfnisse – im Schnitt verbringen wir über 60 Prozent der Lebenszeit in unseren Wohnräumen. Besonders in den letzten zwei Jahren haben wir noch mehr Zeit zuhause verbracht – es wurde viel renoviert und verschönert. Wir haben mit dem renommierten Zukunftswissenschafter Professor Dr. Ulrich Reinhardt über die Zukunft des Wohnens gesprochen. Wie wollen wir zukünftig wohnen und leben? Digitalisiert und vernetzt, in der Natur oder Innenstadt, gemeinsam oder einsam? Welche Rolle spielt das Thema Wohnen für die Menschen? Eine zentrale – denn dort, wo wir wohnen, verbringen wir den Großteil unseres Lebens. Für die Bürger ist das eigene Zuhause ein Ort der Vertraut- heit, der Sicherheit und der Gebor- genheit. Wohnen bedeutet aber auch Individualität, Freiheit, Selbstbestimmung und Ungestörtheit, schließlich kann man in den eigenen vier Wänden entschei- den, was man wann und wie macht. Wohnen erfüllt aber auch eine zentrale Komponente, dort teilen wir Freud und Leid mit der Familie, den Freunden oder Nachbarn. Und es ist immer auch ein Spiegel unseres Selbst, über unser Zuhause identifizieren wir uns und zeigen nach außen, wer wir sind. Wie hat sich das Wohnen in den letzten Jahren verändert? Durch die Pandemie hat das Wohnen einen noch größeren Stellenwert erfahren. Die Bürger haben deutlich mehr Zeit daheim verbracht als vorher. Homeoffice, Homeschooling, Home- shopping – vieles wurde von zuhause gemacht. Daneben erlebte auch das Verschönern des eigenen Heims einen niemals dagewesenen Boom, es wurde renoviert und saniert, umgebaut und ausgebaut, neue Möbel und Einrich- tungsgegenstände angeschafft. Die Bürger haben Zeit, Geld und Energie investiert, um das eigene Heim noch mehr genießen zu können. Sie sehen die demografische Ent- wicklung als eine der großen He- rausforderungen unserer Zeit – die Menschen werden immer älter. Wie wirkt sich das aufs Wohnen aus? Der größte Wohnwunsch von älteren Menschen ist, daheim wohnen bleiben zu können. Sie wollen nicht umziehen, sondern in ihrer Nachbarschaft bleiben. Dort kennen sie sich aus, dort sind die sozialen Kontakte und dort fühlen sie sich wohl. Um dieses aber zu ermög- lichen, muss Wohnen flexibler und innovativer werden. Ein Stichwort ist altersgerechtes Wohnen, bisher sind nur die wenigsten Wohnungen und Häuser den Bedürfnissen im Alter angepasst. Ich meine dabei nicht nur barriere- frei, sondern ich würde schon früher ansetzen und Angebote nutzen, die das Wohnen auch schon mit 50 oder 60 Jahren einfach angenehmer machen. Ein anderes Stichwort ist mehr Flexibili- tät beim Wohnangebot. Derzeit ist es kaum möglich, den eigenen Wohnraum zu verkleinern, ohne umziehen zu müssen. Hier sind innovative Lösungen gefordert, zum Beispiel durch flexible Wände oder eine Neugestaltung von Wohnraumein- gängen. Diese könnten auch eine konkrete Antwort auf die vielerorts vorherrschende Wohnungsnot sein. Wie wirken sich unsere veränderten Bedürfnisse auf die Funktionalität unserer Wohnräume sowie auf die Ar- chitektur und das Interior-Design aus? In Zukunft deutlich stärker als in der Ver- gangenheit. Bisher bestimmte das Angebot die Nachfrage: Ein Wohnraum steht zur Verfügung und der Bürger kann diesen nutzen. In Zukunft wollen immer mehr ihren Wohnraum individuell gestalten und der jeweiligen Lebenssituation anpassen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Tiny-Häuser. Diese bieten für bestimmte Bürger genau das, was gewünscht wird: Minimalismus und trotzdem Funktionalität, geringe Kosten und trotzdem Eigenheim, Individualität und Qualität. Architekten, Planer, Hersteller und Handwerker sind gut beraten, in Zukunft mehr individuelle Angebote anzubieten. Innovation statt 08/15-Angebote und Ser- vice statt Standard werden wichtiger. 5454154